Eines Tages …..

Hatte ich mal wieder ein Mentorcoaching mit einer jungen Frau, die an der Münchner Akademie für Business Coaching ihre 1-jährige Ausbildung absolviert.

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Zuhören im Coaching

©Bettina Stackelberg
Wir Mentorcoaches begleiten sie während der Ausbildung, sowohl mit Coaching für eigene Themen als auch mit z.B. Besprechungen der Übungscoachings, die die Lernenden für die Zertifizierung durchführen müssen.
Die junge Frau war ziemlich unzufrieden mit ihrem letzten Übungscoaching. Sie guckte sehr bedröppelt und erzählte frustriert:

Irgendwie ist mir nichts Gescheites eingefallen. Keine besonders schlaue Frage, keine hilfreiche Coachingtechnik und auch keine gute Hausaufgabe. Ich hab praktisch nix getan – nur so n bisschen zugehört. Ich als Coach muss doch viel souveräner und dem Klient weiter voraus sein. Ich muss doch wissen, wo es lang geht und mit welchen Methoden ich ihn unterstützen kann.

Ein typisches Problem der jungen Coaches zu Beginn ihrer Ausbildung. Sie meinen, ein wahres Methodenfeuerwerk abfackeln zu müssen, 10 perfekte Lösungswege zu sehen und überhaupt allwissend, extrem souverän und dem Klienten eigentlich ziemlich überlegen sein zu müssen.
Nö! Ganz und gar nicht, ist dann seit vielen Jahren meine Antwort. Der Coach muss nicht der Zauberer, die eierlegende Wollmilchsau oder der superduper-Experte sein. Und dann erinnere ich sie an einen der wichtigsten Ausbildungsinhalte:
Ich erinnere sie an die Grundhaltung des Coaches, die wir N.E.W. nennen. Dahinter verbergen sich die Begriffe neugierig – empathisch – wertschätzend. Wenn ein Coach – wenn ein Mensch dem anderen mit dieser Haltung gegenübertritt, macht er schon so unglaublich viel richtig. Wenn ein Coach neugierig, empathisch und wertschätzend dem Klienten gegenüber ist, kann er gar kein schlechtes Coaching machen. Im Gegenteil:
Hat er diese Haltung, tut er schon sehr viel. Wenn er diese Haltung nicht hat, wenn er also nicht neugierig, empathisch und wertschätzend ist, nützt ihm sein noch so perfektes großes Methodenfeuerwerk nix! Dann macht er kein gutes Coaching – und würde im Übrigen auch durch die Zertifizierungsprüfung des Coachingverbandes durchfallen.
Beim näheren Hinsehen hat also meine junge Kollegin in ihrem Übungscoaching sehr wohl schon jede Menge (richtig) gemacht: Sie war neugierig, hat intensiv und konzentriert zugehört, sich eingefühlt in den Klienten und ihm ihre Wertschätzung gezeigt.

Eines anderen Tages …

Ich war mal wieder für Einzelgespräche im Knast – genauer gesagt, bei „meinen Jungs“ in Stadelheim, wo ich bei meinem ehrenamtlichen Herzensprojekt Gefangene coache (  Leonhard, Unternehmertum für Gefangene – hier im Blog hab ich schon zwei Artikel über meine Arbeit dort geschrieben.).

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Abschlussveranstaltung in JVA Stadelheim/München

©Leonhard / Stadelheim München
Mir gegenüber saß ein Mann, der so richtig dem typischen Klischée eines Knackis entspricht: Mitte 30, ein echter Schrank, riesengroß, muskelbepackt, über und über tätowiert, schwarze stechende Augen … und natürlich obercool. Auf meine Frage hin, was ich heute für ihn tun könne, zögerte er kurz und meinte dann, fast ein bisschen schüchtern:

Ach, so genau weiß ich das eigentlich gar nicht, ich hab jetzt kein wirklich drängendes Problem. Weiß gar nicht so recht, warum ich mich gemeldet habe fürs Gespräch mit Ihnen. Aber vielleicht erzähl ich einfach mal ein bisschen von mir, ja?

Gesagt, getan. Die Schleusen öffneten sich und er erzählte mir sein ganzes Leben. Er erzählte von seiner Kindheit, seiner besoffenen Mutter, seinem verschwundenen Vater, seinen Schulabbrüchen, der beginnenden Gewaltbereitschaft, dem Start der Dealer-Karriere. Wie er als Dealer plötzlich Anerkennung, „Freunde“ und die fette Kohle hatte, die er immer vermisst hat, er erzählte von seinen Straftaten, seiner Ex-Frau, die ihm die Kinder vorenthält und schließlich vom Knast. 2 Stunden lang. Und ich saß da, hörte ihm zu – neugierig, empathisch, wertschätzend. Ich sagte nichts! Ich fragte höchstens mal nach, wenn ich etwas nicht verstanden habe oder mir entfuhr ein „Oh, wie furchtbar!“.
Was glauben Sie, wie die 2 Stunden endeten?
So kitschig es klingen mag, aber die 2 Stunden endeten folgendermaßen: Der Mann stand auf, hatte Tränen in den Augen, zögerte kurz und fragte dann:

Frau Stackelberg, darf ich Sie mal umarmen?

Nach meinem Nicken schloß er mich in die Arme (erdrückte mich dabei fast) und murmelte:

Sie glauben gar nicht, wie sehr Sie mir geholfen haben. Ich fühl mich befreit und gestärkt wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Ich war sehr gerührt – und gleichzeitig ziemlich erschrocken! Was muss dieser Kerl bislang in seinem Leben erlebt haben, dass es ihn weinen lässt und ihm dermaßen hilft, wenn ihm jemand „nur“ zuhört? Wenn ein Mensch sich einfach wirklich und echt für ihn interessiert, ihm seine ganze Aufmerksamkeit schenkt, ihm zugewandt ist und ihm zuhört? Mit Neugier, Empathie und Wertschätzung.
Was glauben Sie, warum ich diese Geschichte meiner jungen Coachingkollegin erzählt habe?
Es ist viel einfacher, als wir denken, Menschen wirklich zu berühren und ihnen wirklich helfen zu können! Hören wir einfach öfter zu.