Es gibt Kommunikations Grundsätze, die haben sich bewährt – Klassiker quasi, die früher schon galten und es immer noch tun. Die vier Seiten einer Nachricht von Schulz v.Thun zum Beispiel, oder die Erkenntnis, dass fürs richtige Verstehen einer Nachricht Sender UND Empfänger verantwortlich sind. Regeln sind aber auch dazu da, sie gegebenenfalls zu brechen – oder zumindest immer wieder zu hinterfragen. Zwei Beispiele dafür:
Ganz aktuell – ist mir vor einer Stunde selbst widerfahren: Eine befreundete Kollegin, die hin und wieder auch Auftraggeberin für mich als Trainerin in einem Institut XY ist, rief mich an, wir hatten uns länger nicht gesprochen. Ich freute mich darüber, sie fragte, wie es mir geht. Ich erzählte ein wenig, dann fragte ich zurück und sie plauderte ein bisschen über ihre Arbeit. Dann erkundigte ich mich, wie es denn aktuell so in dem Institut XY läuft und bekam diese Antwort:
Ja, Bettina, da komm ich zum Grund meines Anrufes. Ich würde gerne in den nächsten Tagen mit Dir einen Gesprächstermin ausmachen. Im letzten Seminar, wo du dabei warst, ist mir eine Beschwerde zu Ohren gekommen. Darüber würde ich gerne mit Dir reden, weil mir das sehr am Herzen liegt.“
Ich ahnte schnell, um was es geht und wir machten einen Termin für ein Treffen aus.
Was hat das jetzt mit Kommunikations Regeln zu tun? Nun, es gibt diese alte Feedback-Regel – auch Sandwich-Regel genannt: Wenn Du ein negatives Feedback für jemanden hast, so packe es zwischen 2 positive Aussagen. Also nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Erst sagen, wie toll man die Frisur von jemanden findet und dann erst sagen, dass man sich sehr über seine Verspätung neulich beim Kino geärgert hat. Und am Schluss dann sagen, jetzt sei aber wieder alles gut. So in etwa. Positiv – negativ – positiv.
Nach dem Telefonat war ich sauer. Nicht, weil es an meiner Arbeit etwas zu kritisieren gibt. Das kommt erstens selten vor und zweitens kann ich sehr gut damit umgehen. Nein, der Verlauf des Gesprächs ärgerte mich! Wenn der Grund des Anrufs jener war, mit mir den Gesprächstermin auszumachen, weil es Klagen gibt, dann fühl ich mich ein bisschen veräppelt, wenn erst freundliches Ge-Smalltalke kommt. Meine Empfehlung deshalb:
Lassen Sie das Sandwich weg, wenns eigentlich etwas anderes dran ist! Small-Talk ist Small-Talk, Kritik ist Kritik, Ärger ist Ärger.
Das zweite Beispiel: Ich hab einen Kollegen, der Experte für GfK ist, also Gewaltfreie Kommunikation. Eine wirklich spannende Methode, konstruktiv schwierige Gespräche zu führen. So, wie es viele andere wertvolle Tools und Methoden gibt. Zum Problem wirds aber dann, wenn eine einzelne Methode zum Allheilmittel erklärt wird und überall und bei jedem angewandt wird. Ich kenne etliche Teilnehmer aus den GfK Kursen jenes Kollegen und nicht wenige sagen: „Himmelarschundzwirn, manchmal bin ich halt schlichtweg stocksauer und dann möcht ich das auch genauso sagen dürfen. Ohne Watte drumrum, ohne Schleifchen und Regeln und Rücksicht. Dann möcht ich auch mal sagen dürfen: „Boah, was bist du für ein Idiot!“.
Eine gute Beziehung zum Gesprächspartner hält es aus, wenn wir uns mal politisch seeehr unkorrekte Wörter an den Kopf werfen, wenn wir unserem Ärger einfach impulsiv und ungefiltert Luft machen.
Zu einem späteren Zeitpunkt können wir dann immer nochmal über das Gespräch reden und uns gegebenenfalls entschuldigen für unseren Ton. Es ist m.E. aber enorm wichtig, dass wir nicht ständig filtern, abwägen, in Watte packen oder umformulieren, bevor wir reden! Regeln und Methoden, die sich bewährt haben, kennen ist ganz richtig und wichtig. Aber nicht immer und ausnahmslos – manchmal verbockt man damit nämlich mehr, als man positives erreicht.
Hugh, ich habe gesprochen! :-)
Liebe Bettina,
ich bin auch nicht begeistert, wenn ich mitbekomme, dass man angelernte Kommunikationsstrategien bei mir anwendet. Fühle mich dann nämlich schnell manipuliert. Und schalte dann gerne auf stur. ;-)
Liebe Clia,
das ists nämlich – das kenn ich von mir auch: Ein stures, leicht beleidigtes Arme-verschränken und „So! Jetzt erst recht nicht!“ grummeln. Du sagst das richtige Wort: angelernt. Das ist der Unterschied! Wenn ich eine bewährte Methode verstehe und sie mit meiner eigenen Persönlichkeit verbinde und situations- und adressatengerecht anwende – wunderbar, eine ganz riesige Hilfe für die zwischenmenschliche Kommunikation! Wenn ich sie quasi auswendig lerne und unreflektiert über jede Situation und jeden Adressaten stülpe – dann wirds schwierig.
Danke!
Herzlichst, Bettina
Hallo Frau Stackelberg,
in der beschriebenen Situation erkenne ich nicht das Sandwich-Technik, sondern die interessierte Nachfrage einer Freundin und dann einen – etwas steifen, vielleicht ungeschickten – Themenwechsel.
Klar, wenn dieses Thema dringend ist, die Freundin aufgebracht ist, sollte es sofort angesprochen werden. Wenn es einfach etwas ist, das demnächst geklärt werden sollte, finde ich ihre Vorgehensweise völlig ok.
Freundliche Grüße
Nicola Bartlett
Grüß Sie, Frau Bartlett!
Danke für Ihre Gedanken dazu. Mit Sicherheit hat diese Freundin das nicht absichtlich so „geschichtet“, wollte einfach nicht mit der Tür ins Haus fallen. Und sicherlich hat sie sich auch wirklich dafür interessiert, wie es mir geht. Da geb ich Ihnen völlig recht. Spannend finde ich nur, wie es eben bei mir ankam. Dass ich mich hinterher nicht gut gefühlt hätte. Ich werde das bei dem Gespräch mit ihr auch ehrlich ansprechen, als Feedback. Wahrscheinlich wäre es mir einfach andersherum lieber gewesen. Es war eindeutig, dass sie vorrangig genau zu diesem Zeitpunkt deshalb anrief, um diesen Gesprächstermin zu vereinbaren. Das hätte ich mir an den Anfang gestellt gewünscht. Um danach dann ins Private zu gehen.
Herzlichst, Bettina Stackelberg
Stimmt, Bettina, manchmal sind diese „Goldenen Regeln“ nicht so golden, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Und, obwohl wir alle wissen, dass eine Botschaft vom Sender UND Empfänger gemacht wird, legen wir den Fokus einer Beurteilung schnell auf den Sender. Wir suchen nach (Hinter-)Gründen, einer Strategie, Manipulationsversuchen, dem Trick … wer suchet, der findet. Immer. Irgendwas.
(Am Rande: „Was bei mir ankommt“ empfinde ich übrigens noch eher auf den Sender fokussiert, richtig wäre m. E. „Was ich daraus gemacht habe“ …)
Was mir hilft (nicht immer, aber immer öfter): Die Positivunterstellung. Der andere hat einen Grund, so zu kommunizieren, wie er kommuniziert. Er tut das nicht, um mir zu schaden, mich auszutricksen, mit einer Kommunikationstechnik zu manipulieren. Diese Positivunterstellung gilt so lange, bis ich weiß, dass es anders ist.
Wer mich fragt, wie es mir geht, hat vor allem ein Ziel: Er will wissen, wie es mir geht. Mehr muss ich nicht reininterpretieren. Und über mehr mache ich mir da auch erstmal keine Gedanken … ;-)
Lieber Heiko,
diese Sichtweise gefällt mir sehr! Vielen Dank dafür – ich werde sie ein wenig mehr als bislang in mein Leben einladen! :-)
Herzlichst, Bettina
Vor langer Zeit im Philosophie-Studium habe ich das „Prinzip der wohlwollenden Interpretation“ kennengelernt. Damals ging es um das Verstehen alter Texte, deren Bedeutung aufgrund der alten Sprache oft etwas versteckt war.
Dieses wohlwollende Prinzip wende ich heute eigentlich immer an: Das, was mir gesagt wird, ist keiner Taktik entsprungen.
Wenn ich jedoch spüre, dass die Floskel „Wie geht es Dir?“ nur so dahin gesagt wurde, reagiere ich garantiert nicht mit GfK. :-)
Zum „wie geht es Dir? hab ich auch mal was geschrieben: https://bettinastackelberg.de/wie-geht-es-dir-mal-anders/ Siehst Du das ähnlich!
Danke für deinen Kommentar, herzlichst, Bettina
P.S. ääh, ich merk grad: Ich weiß gar nicht, ob wir per DU oder SIE sind?
Liebe Bettina,
mit dem zweiten Beispiel sprichst Du mir aus dem Herzen! Wie Du schreibst, ist gewaltfreie Kommunikation eine gute Methode für schwierige Gespräche. DANN geht es darum, Gefühle zu kontrollieren. Das ist in Ordnung, weil es hilft, in einer verfahrenen Situation Lösungen zu finden.
Mich stört allerdings, wenn Menschen meinen, dass diese Regeln in jeder Situation richtig sind. Ich habe erlebt, dass es dazu führt, dass Gefühle unterdrückt und verleugnen werden. Und dann wird es für mich unehrlich und erträglich. Die Gefühle sind nämlich da. Ärger und Wut können auch wunderbare Triebfedern sein – wenn sie geäußert werden dürfen! Wenn sie unterdrückt werden müssen, sind sie als unterschwellige Aggressionen deutlich zu spüren, können aber nicht thematisiert werden. Und dann können sie sehr zerstörerisch sein.
Eine gute Streitkultur finde ich enorm wertvoll. Und ein offenes Wort bringt mir mehr als ein falsches Lächeln.
Herzlich,
Janne
Dieses verschwurbelte Drumherumreden mag zwar „gewaltfrei“ sein, doch es führt auch auf beiden Seiten zu einer Beziehung mit „angezogener Handbremse“. Denn wenn ich richtig sauer bin, dann will ich nciht erst noch überlegen, wie ich das Ganze jetzt sanftmütig und schmerzfrei rüberbringe, sondern es muss auch mal raus. Wenn ich mich dann allerdings vielleicht sogar im Ton vergreife – und das passiert auch mir als Respektspsezialistin – dann sollte ich in der Lage sein, mich am nächsten Tag für die Wortwahl/ den Ton/ die Art des Transports zu entschuldigen. Niemals jedoch für den Inhalt – denn DER lag mir ja genau am Herzen.
Wir sind Menschen, keine Maschinen. insofern dürfen und sollten wir aus mal unserer Wut Luft machen. Dennoch schadet es niemandem von uns, wenn wir immer wieder üben, Missstände so zu formulieren, dass keine der beide Seiten ihr Gesicht verliert. Denn das schädigt auf Dauer die Beziehung.
Also: Immer wieder mal die Schuhe des Gegenübers anziehen und nachspüren:
Meinte er es wirklich so, wie ich es möglicherweise interpretiert habe? Was hat ihn veranlasst, genau so zu reagieren?
Mit dem Wissen, dass es vielleicht gar nicht böse gemeint war (in den meisten Fällen) oder aus verschiedenen Gründen „gerechtfertigt“ war (Vorgeschehen, persönliche Erlebnisse, Stimmungslage, Kopfweh etc.) oder aus schlichter Unwissenheit geschah, macht uns das Annehmen – und eine eventuell erforderliche Klärung – leichter.
Hallo, ich kann dem ersten Kommentar nur beipflichten. Bei mir ist es auch so, dass ich mich mental, aber auch körperlich quer lege und auf Abwehr gehe. Ich finde, dass bei allen angewendeten Kommunikationsregeln auch die Natürlichkeit und Authentizität erhalten bleiben muss. Und: nicht jede Regel passt auf jeden Typ von Mensch.
Gruß Sascha
Schönen guten Morgen!
Liebe Janne, liebe Bettina, lieber Sascha: Ich freu mich sehr über Eure Kommentare. Genau, wenn die Gefühle, Wut etc., doch einfach da sind! Und dann kleb ich mit GFK einen Kaugummi aufs Ventil – und dann fliegt mir der ganze Hochdruck Kessel irgendwann an anderer Stelle ganz fürchterlich um die Ohren!
Und: Ja, Bettina, das Bild mit der angezogenen HAndbremse geht auch in diese Richtung, nicht wahr? Ich komm nicht richtig vorwärts – und brauch viel zu schnell neue Bremsbeläge! :-)
Kommt gut in die neue Woche,
herzlichst, Bettina Stackelberg