Dies ist ein Blogartikel, den ich seit geraumer Zeit vor mir herschiebe. Weil ich irgendwie immer noch nicht fertiggedacht habe darüber. Weil ich mir selbst zu widersprechen scheine. Und ich merke: Nein, ich widerspreche mir nicht – ich beginne einfach mit zunehmender Erfahrung, meine Sichtweise ein wenig zu ändern. Und dieses Thema wird auch gerade im Coaching immer wichtiger ……
und ich möchte einfach ehrlich sein und aufrichtig. Und mir und meinen Klienten möglichst wenig vormachen. Also ..ran an den Artikel!
Leichtigkeit. Ein schönes Wort. Erstrebenswert. Leichtigkeit erleichtert unser Leben, unser Denken und Handeln. „Es darf auch leicht gehen“ war mir vor vielen Jahren selbst ein wichtiger Schlüsselsatz, mit dem ich etliche alte Glaubenssätze aufräumen konnte. „Wenn die Zeit reif ist, gehts leicht.“ stimmt auch so sehr – die besten und schönsten Aufträge habe ich leicht bekommen, ohne viele Mühen. Auch hier im Blog hab ich schon öfter ein Plädoyer für Leichtigkeit gehalten.
Vor ein paar Wochen wurde mir etwas klar – und zwar bei einem intensiven Gespräch mit einer lieben Freundin und Kollegin, Claudia Werner: Wir sprachen darüber, wieviele Seminarangebote, Bücher und Coachings es mittlerweile gibt, die versprechen, dass dann irgendwie alles ganz leicht geht: Dass wir unser Leben leicht meistern können, dass wir leicht alles unter einen Hut bringen können, dass wir Ziele leicht erreichen etc. Und Claudia sprach einen entscheidenden Satz:
„Wie vermessen ist es eigentlich, ständig zu erwarten, dass das Leben ganz leicht geht!“
Ja, verdammt – so ist es! Es ist nicht immer leicht, das Leben! Ich bin 50 Jahre alt, sehr gut ausgebildet und weiterentwickelt in diesen ganzen Mental- und Psychodingen, coaching- und therapieerfahren, hab 5 schlaue Bücher übers Selbstbewusstsein geschrieben … und mein Leben ist zwischendurch alles andere als leicht. Da ist es dann schwer. Verdammt schwer und schwierig und beängstigend und düster und depremiert und verzweifelt und ängstlich und zweifelnd und schwarz. So! Da weiss ich, die tolle Expertin, auch nicht weiter. Da sterb ich fast vor Liebeskummer. Da bin ich trotz all meiner tollen Menschenkenntnis und Erfahrung wieder einmal schrecklich enttäuscht von einem Freund. Da bin ich ziel-und plan-und lösungslos. Und dann ist nirgendwo am Horizont auch nur ein Fitzelchen Leichtigkeit zu sehen. Da denke ich auch schon mal: „Das wars dann.“
Mit dem Leben immer besser umgehen zu können, bedeutet für mich nicht, dass es irgendwann alles ganz leicht geht. Sondern, dass es manchmal leichter geht und diese Momente dann ganz wunderbar sind und wir stolz auf uns sein können, weil wir etwas gelernt haben. Und manchmal ist es eben richtig und wichtig, mit klarem Blick zu sehen: Nö, iss grad nicht leicht. Nicht, um dann die Hände in den Schoss zu legen und im fatalistischen Nichtstun zu verharren. Sondern, um der Realität grad einfach ins Auge zu blicken. Es anzunehmen. Und es nicht gleich um jeden Preis unbedingt weghaben zu wollen. Annehmen. Anerkennen. Vielleicht sogar einverstanden sein damit, dass es nicht leicht ist. Weil es grad so ist. Punkt. Das ist sowieso eine der höchsten Künste für mich im Leben: Einverstanden sein mit allem, was ist. Schweeeeer, sag ich Ihnen. Gelingt wahrlich nicht immer – aber inzwischen ein klein bisschen öfter! :-)
Noch zwei Anekdoten zum Thema „leicht“:
Eine Coachingklientin – eine junge Frau, die im Sommer eine erste große Führungsaufgabe übernehmen wird und mich dabei als Begleiterin möchte – sagte in unserer ersten Stunde:
„Und Sie helfen mir dann dabei, dass mein Führungsjob ganz leicht geht, oder?“
Vielleicht hätte ich noch vor einem Jahr oder so bejaht und gesagt: „Ja, so ähnlich. Ich unterstütze Sie dabei, dass viel Leichtigkeit in Ihrem Führungsalltag sein darf.“ Dieses Mal antwortete ich:
„Ich kann Sie dabei unterstützen, dass Sie Probleme besser lösen können, dass es zwischendurch auch mal leichter geht und Sie aus Krisen viel lernen können.“
Probleme und Krisen also nicht wegmachen, sondern besser damit umgehen lernen. Das ist Fortschritt.
Eine andere Situation: Ich bin Moderatorin einer Regionalgruppe von XING. Letzte Woche war ein besonderes Treffen, wir waren 14 Leute und es ging mir darum, dass wir uns gegenseitig erzählen, was für uns Demut und Dankbarkeit bedeuten. Ich fing an mit einem meiner letzten Blogartikel, mit dem ich ein recht schweres Thema kommentierte. Danach erzählte eine Frau ihre Geschichte von schwerer Krankheit und dem Weg in die Heilung dadurch, dass sie eines Tages sich nicht mehr aufs Leid konzentrierte, sondern darauf, wofür sie trotz allem dankbar ist. So – Sie können sich vorstellen: Extrem intensive Atmosphäre, man konnte die berühmte Stecknadel fallen hören, hohe Konzentration und Achtsamkeit. Und prompt meinte eine Teilnehmerin:
„Na, das ist ja ganz schön starker Tobak hier, so viel Schweres – darauf war ich gar nicht vorbereitet. Ich finds gut, wenn wir jetzt erstmal ne Pause machen, um wieder durchzuschnaufen und laut sein zu dürfen.“
Ein Moment, in dem es um viel ging, das merkte ich sofort. Unsicherheit machte sich breit im Raum, ich zögerte nur kurz und sagte dann mit aller Entschiedenheit in der Stimme, fast ein wenig streng, weil es sein musste:
„Nein! Wir machen jetzt keine Pause. Wir halten das jetzt alle miteinander mal aus, dass es grad schwer und tief ist. Wenn wir jetzt ne Pause machen, ist die Türe zu, die im Moment so wunderbar offen ist.“
Mehrere Teilnehmer sagten mir hinterher, wie dankbar sie mir in dem Moment waren – dass ich streng blieb.
Ja, Herrgott nochmal! Wir müssen manchmal da durch. Manchmal ist es wichtig, etwas auszuhalten, auch wenns grad nicht superdupereasy zu ertragen ist. Manchmal ist es auch wichtig, uns zuzumuten in all unserer Schwere, Ratlosigkeit, Verzweiflung – uns auch dann zuzumuten, wenn es echt nicht leicht ist mit uns. Wo wir anstrengend sind. Weil das Leben grad so anstrengend ist.
Wir wachsen daran. Wir lernen dadurch. Wir sind gewappneter für das Leben dadurch.
Und dann darf es manchmal auch ein klein bisschen leichter gehen!
Liebe Bettina,
ein wunderbarer Artikel, der mir sehr aus dem Herzem spricht und ins „Schwarze“ trifft.
Danke,
Simone
Liebe Frau Stackelberg,
ein ganz wunderbarer Blogartikel. In meinem Kopf machen sich viele (unsortierte) Gedanken breit, die gerade einfach raus wollen:
Diese Leichtigkeit stellt sich ein, wenn es sich fügt. Da klickt etwas, da rastet das Universum ein. Ich denke immer, das Leichte ist vielleicht das Ergebnis des harten Weges, des Leidens, der Fragen und durchwachten Nächte.
Und was wäre uns das Leichte Wert, wenn es davor nicht schwer gewesen wäre? Auf einen Berg kann man fahren oder laufen, das Ergebnis ist das gleiche. Aber je nach Weg kommt der Mensch doch ganz anders oben an …
Danke für Ihre Gedanken, sie werden mich noch eine ganze Weile begleiten.
Liebe Grüße von einer Nachteule
Frau B.
Guten Morgen, liebe Frau B.!
Das ist ein Gedanke, der mir in diesem Zusammenhang so noch nie kam. Ja! So wie wir die Wärme und die Farben des Frühlings deshalb so zu schätzen wissen, weil wir triste, graue und kalte Wochen hinter uns haben. Ja. Wenn es sich fügt. So wundervoll gesagt! Wenn es sich fügt! Da ist auch ein Aspekt enthalten, der mir auch immer wichtiger wird: Spiritualität. Es fügt sich bedeutet eben nicht, dass wir selbst alles in der Hand haben. Bedeutet eben nicht, wie so viele Seminaranbieter und Autoren uns glauben machen, dass wir selbst nur gut organisiert, selbsterfahren und klug genug sein müssen und dann ist alles leicht.
Liebe unbekannte Frau B: Ich danke Ihnen von Herzen dafür, dass diese Ihre Gedanken raus durften!
Herzlichst, Bettina Stackelberg – nicht Nachteule, sondern early bird :-)
Liebe Frau Stackelberg,
danke für die ehrlichen Worte! Sehr schöner Artikel.
Liebe Grüße,
Stefanie
Liebe Frau Stackelberg,
sehr schöner Artikel. Mir fällt dazu ein, dass es immer auch eine Sache der Bewertung ist. Wenn ich ein noch so großes Problem habe, kann ich da viel leichter durch, wenn ich mir Gedanken dazu mache, was ich lernen kann und in welche Richtung ich dabei wachsen kann. Wenn ich das Problem als Contrablem wahrnehme, es also ausschließlich negativ bewerte, ist es extrem schwer, da durch zu gehen. Es geht um ein und dasselbe Thema, nur eben von einem anderen Blickwinkel aus betrachtet. Sehr spannend, wie ich finde…
Herzliche Grüße
Beatrix Philippin
Das Wortspiel „PROblem“ und „CONTRAblem“ gefällt mir sehr, liebe Frau Philippin – danke dafür. In der Tat – es ist eine Frage der Perspektive, der Haltung und letztendlich eine Entscheidung, die ich treffe!
Herzlichst, Bettina Stackelberg
Danke für den schönen Blogbeitrag, spricht mir aus der Seele.
Beste Grüße,
Simon Beck
Liebe Bettina,
danke für Deinen wunderbaren Beitrag. Ja, es ist nicht einfach mit der Leichtigkeit. Ich erlebe oft, dass in unterschiedlichsten Situationen nach Leichtigkeit verlangt wird. Doch frage ich dann nach, was konkret Leichtigkeit für denjenigen in dieser Situation bedeutet, werde ich erstaunt angeschaut… Und das verwundert mich. Wie will ich denn etwas mit Leichtigkeit machen, wenn ich keinerlei Vorstellung davon habe, wie es aussehen könnte? Ohne konkreten Inhalt verkommt der Begriff „Leichtigkeit“ dann leider zur Floskel.
Liebe Grüße
Ruth
Hallo liebe Bettina,
die Überschrift hat mich neugierig gemacht. Danke für Deinen wunderbar ehrlichen Beitrag. Über das Thema habe ich mir in der letzten Zeit auch oft Gedanken gemacht. Nein, das Leben ist nicht immer leicht. Und mittlerweile gibt es unzählige Coaches, Trainer und Berater, die einem hilfreich zur Seite springen, schlaue Bücher schreiben, wohl wissend zu meinen wie es geht. Es wird zunehmend eine leichte und heile Welt verkauft, weil sie sich momentan immer noch gut verkaufen läßt. Du brauchst nur zu wissen was Deine Berufung ist, gegen den Strom schwimmen und schwupps wirst Du glücklich und erfolgreich sein. Nun aber frage ich mich, wer von all denjenigen stellt sich den Herausforderungen und Problemen des tgl. Lebens denn wirklich? Lehren sie ein Modell und/ oder auch das Leben selbst?
Denn ich denke, nur wenn jemand den Weg gegangen ist, kann er anderen wirklich hilfreich, unterstützend, Mutmachend, Lösungen findend aufmunternd, mitfühlend zur Seite stehen. Das Leben annehmen, leben und lehren = Veränderungen gestalten in der Welt. So wie Du es oben (be)schreibst.
Ich wünsche Dir weiterhin wunderbare Erfahrungen.
Liebe Grüße
Claudia
Liebe Claudia!
Genau so sehe ich es auch. Und ich finde es sehr spannend, wie auch ich als Coach und Ratgeber Autorin mich zu ändern beginne. Oder auch als Mensch allgemein: Je älter ich werde, desto sicherer bin ich, dass ich auch weiterhin Phasen der Unsicherheit, des Zweifelns, der Schwere erleben werde. Früher war mein Credo: Wenn Du genug Bescheid weisst, erfahren bist und genug Tools beherrscht, dann passieren die Krisen immer weniger.
Schmarrn!
Ich weiß höchstens besser als früher, was mich dann erfahrungsgemäß irgendwann und irgendwie wieder rausbringt aus der Krise.
Und der andere, mir so wichtige Aspekt ist in der Tat die Vermessenheit in dem Anspruch, dass das Leben gefälligst leicht zu gehen hat. Hybris geradezu. Und – wie Du so schön geschrieben hast: Lerne ich Theorie, Checkliste und Modell – oder das Leben!
Danke für Deine Impulse!!
Herzlichst, Bettina
Ein wichtiger Beitrag. Nicht nur in diesem Internet, wo vieles so leicht und easy wirkt. Ich finde es wichtig, sich innerlich stark zu machen und sehr ehrlich mit sich zu sein. Sonst kann man ein schwere Last möglicherweise nicht tragen und bricht unter ihr (und der Unehrlichkeit) zusammen.
Das Leben ist kein Ponyhof. Aber man kann zwischendurch zur Koppel gehen und mal einen Ritt wagen.
Findet Ruth